"Ich will Deutsche werden"

Flower
Bis zum siebten Song ihres Debütalbums lässt sich Aerea Negrot Zeit, dann kommt der entscheidende Satz:„Ich bin so eine große Stern, aber die Welt kann mich noch nicht sehen!“ heißt es grammatikalisch nicht ganz korrekt, aber sehr charmant. Die Betonung liegt auf „noch“, denn wenn es nach der seit sieben Jahren in Berlin lebenden Sängerin geht, dann sollten die Menschen eher früher als später erkennen, wie einzigartig sie doch ist. Dafür setzt sie alle Hebel in Bewegung.
Auf dem Cover ihrer gerade erschienenen Platte „Arabxillia“ zeigt sie sich als echter Paradiesvogel: über und über mit bunten Ketten behangen, das Gesicht gold und orange und lila geschminkt, darüber thront ein Kopfschmuck aus Tüll und Federn und Schmuck. Musikalisch geht es ähnlich überfrachtet zur Sache, Aerea Negrot scheint eine Art Destillat aus vielen schrägen und einzigartigen Stimmen der letzten 50 Jahre zu sein, aus Nina Hagen und Klaus Nomi, aus Hildegard Knef und Yma Sumac, aus Laurie Anderson und Karen Mantler. Das musikalische Gerüst um den mal klagenden, mal opernähnlichen, mal hektischen, mal eher sprechenden Gesang besteht aus gut arrangierten, nicht ganz so experimentellen Electro-Beats. „Ich mag diese cinematischen Gefühle von Musik. Musik braucht Theater!“, sagt Aerea Negrot, die in der Nähe vom Mehringdamm in einer unauffälligen Wohnung lebt.
Aerea Negrot ist ein Künstlername, der Nachname eine Verbeugung vor den beiden lateinamerikanischen Sängerinnen Olga Guillot und Tona La Negra, der Vorname hat mit dem spanischen Wort für Luft zu tun: „Ich bin damals viel geflogen und hatte viele Lover, die Flugbegleiter waren.“ Hinter dem Pseudonym verbirgt sich Danielle Gallegos und auch das dürfte eine Art Maske sein: Die Sängerin wurde vor 31 Jahren in Venezuela als Junge geboren, sie ist, wie es das Musikmagazin Intro einmal schriebe, eine „transsexuelle Gesangswundertüte“. Sie komme aus einer Familie, in der viel getanzt und Musik gesammelt wurde, erzählt Aerea Negrot, deshalb habe sie von einer Karriere als Tänzerin geträumt, eine Knieverletzung aber verhinderte das. Oder doch nicht? „Alles ist erfunden!“, sagt sie einmal verschmitzt während des Interviews und lässt bewusst offen, was genau sie damit meint: Die eigene Identität oder doch die Geschichten, die sie in ihren Songs erzählt? Die letzten zwölf Jahre jedenfalls hat Aerea Negrot „ein Zigeunerinnenleben“ geführt. Sie wohnte in Caracas, in Porto, in London, in Amsterdam und kam schließlich nach Berlin. Sie brachte sich selbst das Produzieren von Musik bei, jahrelang arbeite sie an ihren Songs, feilte an den Texten, „perfektionierte Dativ- und Genitiv-Fehler“, nahm sie schließlich, ganz intim, in den eigenen vier Wänden auf.

Ein bisschen merkwürdig ist es schon, dass Berlin zwar so viele Musiker aus aller Welt anzieht, dass darunter aber so wenige schräge Typen wie Aerea Negrot sind. Man kommt in die Stadt, geht in die Clubs, feiert ausgiebig und genießt die freie Stimmung, aber musikalisch spiegelt sich das nur selten wieder. Jake Shears von den Scissor Sisters wies vor anderthalb Jahren explizit daraufhin, dass sein Album „Night Work“ von der Stadt inspiriert sei. Und auch Andrew Butler von Hercules & Love Affair ließ sich angeblich durch Berliner Cluberfahrungen beeinflussen. Der Musik selbst aber war das nicht anzumerken. Bei Aerea Negrot, die auch bei letzten Hercules-&-Love-Affair-Album mitwirkte, ist das anders: Berlin hat jede Menge Spuren hinterlassen. Zum Teil musikalisch, denn auch wenn ihre Electro-Beats nichts eindeutig spezifisch Berlinerisches an sich haben, so hat doch der Techno-Produzent und Berghain-DJ Tobias Freund als Koproduzent bei „Arabxilla“ mitgearbeitet. Und Ellen Allien, Berliner DJ und Chefin des Plattenlabels Bpitch Control, das Album herausgebracht. Vor allem aber findet sich Berlin in den Texten wieder: „Please move to Berlin“, bitte zieh’ nach Berlin um, heißt es im einen Song. Dann wieder ist eine ganze Ballade der jetztigen Heimat gewidmet. Und schließlich der gewollt oder ungewollt komische Versuch einer Einbügerung. „Ich will eine Deutsche werden“, heißt es immer dort immer wieder im Text, auch wenn es die Stadt einem Paradiesvogel nicht immer leicht macht: „Berlin war mir am Anfang ein bisschen zu grau, es war kompliziert, das alles zu verstehen. Ich komme ja aus einer Gegend, wo alles sehr grell ist. Die Leute hier sind anders, die haben ein anderes Leben“, erzählt Aerea Negrot in gut verständlichem lateinamerikanischen Deutsch.
Mittlerweile hat sie sich an dieses „andere Leben“ gewöhnt. Sie trennt ihren Müll, nicht unbedingt aus Einsicht, sondern weil es dazugehört. Und weil sie von den „Mülldetektiven“ gehört hat, die in den Tonnen nachschauen, ob auch alles seine Richtigkeit hat und die einem schnell auf die Schliche kämen, sollte man hier nicht mitmachen.
Sie hat akzeptiert, dass sich in Berlin, dieser „Stadt mit viel Geschichte, die aber Geschichte ist“, nicht jeder mit Umarmung und großem Hallo begrüßt, sondern manchmal schon ein Händedruck zu viel ist. Und sie bemüht sich ernsthaft um die deutsche Staatbürgerschaft, hat verloren geglaubte Papiere besorgt, lässt den bürokratischen Prozess über sich ergehen. „Man hat nie genug Dokumente“, lautet einer ihrer lakonischen Kommentare im Song „Deutsche werden“. Wenn man als hier Geborener schon nicht immer versteht, was Behörden von einem wollen, wie schwierig muss es dann erst für Menschen sein, die die Sprache erst seit ein paar Jahren sprechen? Sehr schwer, offensichtlich: „Ich will gesund bleiben, nicht krank werden. Eine Menge Papiere, die ich nicht verstehe, das macht mich aber krank. Ich kenne Gefühle, ich kenne Menschen, ich kenne Emotionen. Aber alles, was mit Bürokratie und Gesetzen und Regeln und Politik zu tun hat, ist schrecklich für mich.“
Noch ist Aerea Negrot kein echter Popstar, vielleicht wird sie’s auch niemals sein. Das letzte Wort scheint bislang nicht gesprochen. Sie selbst könnte auch leben, aber schöner, daran lässt sie keinen Zweifel, wäre es schon, der große Stern zu sein, den alle Welt sieht.