Mal wieder Zeit für Top-10-Lästereien

Flower
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über die deutschen Album-Charts gut lachen: Wer sich da so alles tummelt! Abgehalfterte Pop-Sängerinnen, AC/DC-Kopisten, Jazz-Hobbits, liebeskranke Millionäre. Und auf Platz 1 ein echter Lichtblick. Ich habe das mal wieder aufgeschrieben, was mir in Sachen „meist verkaufte Alben der Woche“ so einfällt.
Manche nennen ihn den Jazz-Hobbit, diesen Jamie Cullum, der mit seinem Album Momentum auf Platz 10 der deutschen Albumcharts liegt. Warum? Weil er so aussieht, als hätte er in der Verfilmung des Tolkien-Romans die Hauptrolle übernommen. Seine Songs sind aber alles andere als untersetzt, eher poppig und gekonnt. Trotzdem: Jamie Cullum macht Musik für Leute, die permanent angeschrien werden wollen, so aufdringlich sind Stimme und Beat.

Ein ganz anderes Bild auf Platz 9: „A“ von Agnetha Fältskog. Agnetha wird immer „Die Blonde von Abba“ bleiben. Kein Wunder: Ihre neuen Songs – die ersten seit fast zehn Jahren – kommen so belanglos rüber, dass sie niemals die Erinnerung an die schwedische Supergruppe übertünchen können. Harmlos Liedchen, die ich bereits vergessen habe, während sie noch laufen. Dann schon lieber das hier:

Denn das ist Pink, die sich mit ihrem „The Truth About Love“ hartnäckig in der deutschen Hitparade hält – diese Woche auf Platz 8. Also noch mal die Frage: Was hat Pink, was andere nicht haben? Vieles, vor allem aber: Eine Haltung! Und die sieht so aus: Ich mag Millionen auf dem Konto haben, aber dadurch werden das Leben und die Liebe nicht leichter. Also sing ich drüber. Nein, nicht über die Millionen. Über das Leben. Und die Liebe.


Auf Platz 7: „Dann mach’s gut“ von Reinhard Mey.
„Mach’s besser“, ruft ihm daraufhin der weinselige Alt-68er zu – und meint das lustig, nicht wörtlich.
Musikalisch ist das neue Album des Berliner Barden aufregend wie ein Diavortrag bei Freunden. Aber präzise erzählt Reinhard Mey, mittlerweile 70 Jahre alt, seine fein beobachteten Geschichten. Und Formulierungen wie diese hier bekommt wirklich nur er hin:


Und damit zu Platz 6 der deutschen Albumcharts in dieser Woche: Zaz mit „Recto Verso“. Auch wenn sie hier im Deutschlandradio Kultur CD der Woche war: Meins ist das nicht. Warum? „Frisch“ und „frech“ und „gut gelaunt“ – Wörter, die immer wieder im Zusammenhang mit der jungen Französin fallen – das interessiert mich nicht sonderlich. Ich steh mehr auf neu, dreckig und überraschend. Und all das fehlt hier.

Platz 5: Airbourne mit „Black Dog Barking.“
Schon eine millionentrillionenmal wurden die australischen Hardrocker Airbourne mit AC/DC verglichen. Na gut, dann passiert das jetzt zum einemillionentrillionundersten Mal: Airbourne sind AC/DC 2.0 und das ziemlich gut.

Platz 4: Santiano – Mit den Gezeiten
Es ist mal wieder an den Gezeiten, äh, an der Zeit, den alten Indianerspruch rauszuholen: „Erst wenn das letzte Seemannslied geschändet, das letzte Klischee ausgereizt, das letzte bisschen Sehnsucht aufgebraucht ist, werden Santiano-Fans merken, dass diese Musik wertlos ist.“ Lange wird das übrigens nicht mehr dauern.

Platz 3: 30 Seconds To Mars – Love Lust Faith & Dreams
Ja, da stehen wir drauf, nicht wahr? Große Gefühle, große Verstärker, große Egos. Aber genauso, wie man in den Filmen von Frontmann Jared Leto an seinen krassen Augen hängenblieb und darüber die Handlung des Films vergaß, erschlägt einen hier die Wucht des Sounds. Larger than life, sagt der Ami dazu. Viel zu groß, sage ich.

Platz 2 - Beatrice Egli mit ihrem Album „Glücksgefühle“ kann ich auch nicht ertragen.
Das hat sogar einen philosophischen Hintergrund: Die Schlagerbranche wittert Morgenluft und sieht die Chance, ihre Musik in den nächsten Jahren noch mehr in den Markt zu drücken. Dagegen müssen wir uns wehren. Wirklich. Sonst verblöden wir am Ende alle!

Und damit zum Lichtblick dieser Woche. Auf Platz 1: Das Roboterduo Daft Punk mit Random Access Memories. Keine Überraschung, die behelmten Franzosen schaffen es ganz nach oben,. Das liegt natürlich auch an ihrem als Single ausgekoppelten Überhit „Get Lucky“, den sogar Oma und Opa mittlerweile mitsingen können. Vor allem aber ist das perfekt produzierter Pop, der sich gleichzeitig nach gestern, heute und morgen anhört und nicht zuerst dem Markt, sondern der Daft-Punk-Ästhetik folgt. Für Kunst ist das die einzig richtige Reihenfolge.