Nicht Techno, sondern Jacko

Vielleicht Michael, sicher nicht MJ
Die Plattenfirma hatte vorher schon ordentlich getrommelt, seit ein paar Tagen, seit dem 8. November, ist er, ganz offiziell und umsonst, über das Netz zu hören: „Breaking News“, der neue, bisher unveröffentlichte Song Michael Jacksons. Es erinnert an die besseren Zeiten des „King of Pop“, dieses eingängige Lied voller typischer MJ-Markenzeichen, der hohe Gesang, sein sich wiederholendes „Hihi“. Ein bisschen ist es wie „Bad“, ein bisschen wie „Black or White“, ein bisschen wie „Leave Me Alone“, aber irgendwie auch ein bisschen altbacken, so, als hätten die Backstreet Boys und Michael Jackson gemeinsam einen Song gemacht.
Eine Message hat „Breaking News“ auch. Etwas vereinfacht lautet sie: „Ihr, die Medien, wolltet Michael Jackson am Boden sehen, habt ihn nicht in Ruhe gelassen. Aber jetzt ist er wieder da!“ Ist er natürlich nicht wirklich: Michael Jackson starb bekanntlich vor 15 Monaten an einer Überdosis des Narkosemittels Propofol, das ihm, neben anderen starken Schmerz- und Beruhigungsmitteln, sein Leibarzt Conrad Murray verabreicht haben soll. Tot aber, das stellte sich schnell heraus, war Michael Jackson mehr wert als lebendig: Seine Songs, seine Alben erreichten weltweit die Spitzenplätze der Charts, der Dokumentarfilm „This Is It“ wurde zum erfolgreichsten Konzertfilm aller Zeiten. Wenige Monate nach den Trauerfeiern schloss die Plattenfirma Sony laut Wall Street Journal einen Rekordvertrag über 250 Millionen Dollar mit den Nachlassverwaltern, in den nächsten Jahren sollen nach und nach zehn Michael-Jackson-Alben erscheinen.
Das erste – das, auf dem dann auch „Breaking News“ zu finden sein wird – kündigt Sony weihnachtstauglich per Pressemitteilung für den 10. Dezember an. „MICHAEL“ soll es heißen, zu den dort versammelten Songs ließen sich „einzigartige Geschichten“ erzählen. Doch das ist nur Werbe-Bla-Bla, auf Nachfrage bei Sony Deutschland heißt es, man wisse auch nicht mehr, als im Presseinfo stehe.
Bekannt ist immerhin so viel: Michael Jackson hat in den Jahren vor seinem Tod wieder und wieder an neuen Songs gearbeitet, angeblich existieren hunderte von unveröffentlichten Lieder. Wie man mit solch einem Erbe umgehen kann, haben schon die Nachlassverwalter von Elvis Presley, von Johnny Cash und auch die von Hip-Hopper Tupac Shakur gezeigt: Im Fall von Presley und Cash kommen seit Jahren in immer neuen Zusammenstellungen alte Songs heraus: „Der King“, die „Legende“, Duette, Love Songs, „The Best“, „The Very Best“, „The Very Very Best“ – mit ihrem Erbe werden Millionen verdient.
Ein noch interessantes Vorbild in Sachen posthumer Ausbeutung als der „King of Rock’n’Roll“ und der „King of Country“ aber ist Tupac Shakur alias 2Pac. Der Rapper wurde 1996 unter nicht restlos geklärten Umständen erschossen und danach ins Mythische überhöht. Seitdem kommen immer wieder Platten mit bislang ungekanntem Material heraus. Wie Mchael Jackson soll er vor seinem Tod etliche Songs und Songfragmente eingesungen bzw. eingesprochen haben, mittlerweile gibt es mehr posthume als zu Lebzeiten veröffentlichte Alben. Und wie bei Shakur stellt sich jetzt auch bei „Jacko“ die Frage: Wer entscheidet eigentlich, ob die Songs gut genug sind, um veröffentlicht zu werden?
Michael Jackson, das ist bekannt, war nicht immer zufrieden mit seinen Aufnahmen und mit dem, was wechselnde Produzenten aus dem Rohmaterial machten. Michael Jackson war Sänger, Komponist, Entertainer, den eigentlichen Sound seiner Alben aber bestimmten andere – so wie Quincy Jones, der Jacksons Mega-Erfolgsalbum „Thriller“ 1982 einen smarten Electro-Funk-Sound verordnete. Seit 2001, seit seinem letzten zu Lebzeiten erschienen Studioalbum „Invincible“, warteten die Fans und die Plattenfirma auf neues, ähnlich hochwertiges Material. Stattdessen bekamen sie einen erneuten Prozess gegen Michael Jackson wegen Kindesmissbrauchs geboten. Dieser endete 2005 zwar mit Freispruch, offenbarte aber gleichzeitig, in welch fragilem Zustand sich der Sänger eigentlich befand. Jackson brauchte ein großes Comeback, um seine Geldsorgen zu beenden, aber die in dieser Zeit in New Jersey, Los Angeles und Las Vegas entstandenen Songs hielt er für so ein Comeback offenbar nicht für tauglich.
Sony scheint diese Skrupel nun nicht mehr zu teilen: Wie die Klatsch-Seite tmz.com mitteilt, sollen „Breaking News“ und vier weitere Songs des neuen Albums bereits 2007 im Haus des Produzenten Eddie Cascio aufgenommen worden sein, mit dem Jackson befreundet war. Die anderen Songs auf „MICHAEL“ sollen von Will.I.Am von den Black Eyed Peas und von den Produzenten Rodney Jerkins und Teddy Riley bearbeitet sein – allesamt große Namen im Popgeschäft, ob sie aber den Sound hinbekommen, den sich Michael Jackson gewünscht hätte, kann keiner beantworten. Die Plattenfirma jedenfalls behauptet, dies seien die Songs, an denen MJ bis zu seinem Tod gearbeitet habe und die er unbedingt verwirklichen wollte.
Ganz ohne Streitigkeiten gehen diese posthumen Geschäfte nicht über die Bühne. Vor wenigen Monaten kam die Frage auf, wer eigentlich die Rechte an diesen Songs besitzt. Eddie Cascio tat sich daraufhin mit dem in Sachen Unterhaltungsindustrie ziemlich beschlagenen Anwalt Don Passman zusammen, um diese Fragen zu klären, ein kluger Schachzug, wie die anstehende Veröffentlichung vermuten lässt. Jetzt, so berichtet tmz.com, gibt es außerdem Gerüchte, dass die Stimme, die auf den Songs zu hören ist, gar nicht von Michael Jackson stamme. Jacksons Sohn Prince soll bei den Aufnahmen in Cascios Haus mit dabei gewesen sein, doch erkenne er keinen der im Dezember erscheinenden Songs wieder. Jacksons Tochter Paris sei sich ebenfalls sicher, dass ihr Vater auf keinem der fraglichen Songs zu hören sei. Die Nachlassverwalter halten dagegen und verweisen ihrerseits auf Stimmenexperten, die Michael Jackson einwandfrei identifiziert hätten, darüber hinaus glaube man, Jacksons Mutter Katherine und andere Familienmitglieder würden die Kinder manipulieren, um eine Veröffentlichung von „MICHAEL“ zu verhindern. Wer genau da auf welcher Seite steht? Das ist nur schwer zu durchschauen. Aber zumindest hier kann Jackos neuer Song weiterhelfen:„Everybody wanting a piece of Michael Jackson. Just when you thought he was done, he comes to give it again. “ Jeder möchte seinen Teil von Michael Jackson, so heißt es in „Breaking News“. Und als man schon dachte, jetzt sei alles überstanden, ist er wieder da. Zumindest in dieser Hinsicht war der „King of Pop“ ein echter Prophet.
(Eine leicht veränderte Version dieses Texts ist im Berliner „Tagesspiegel“ erschienen.