Und wer wird der nächste Eminem?

Seit im Jahr 1999 Eminem die Rap-Bühne betrat und unzählige von Platten verkaufen konnte, ist sie im Gange: Die Suche der US-Plattenfirmen nach dem nächsten großen weißen HipHopper, der nächsten großen weißen Hoffnung, mit der Kasse zu machen ist. Bislang suchte man vergeblich – doch jetzt gerade gibt es mehr Rapper, die das Zeug zum nächsten weißen Hype haben, als je zuvor in der Hip-Hop-Geschichte. Und um die soll es jetzt gehen.
Aber vielleicht fragt man erst einmal, warum die Hautfarbe überhaupt so ein Thema im Hip-Hop ist? Stimmt natürlich vor allem für die USA. Auf den ersten Blick mag einem diese Hautfarben-Diskussion seltsam erscheinen, denn wenn man sich sonst die Musik ansieht, die Popmusik, den Rock, Techno oder auch Jazz, dann wird das dort eher selten thematisiert. Aber der Hip-Hop hat da eine echte Sonderstellung: Zum einen ist er stark verwoben mit der afro-amerikanischen Kultur, ist seit Jahren neben dem verwandten R’n’B DIE Musik des schwarzen Amerikas. Zum anderen aber auch DIE Musik der weißen Vorstädte. Und dann greift eben der alte Spruch, der einst auf Elvis gemünzt war: Gebt mir einen weißen Jungen, der singen kann wie ein Schwarzer, und ich mache damit eine Million. Oder, wie im Fall von Eminem, zig Millionen.

Apropos Eminem: Wahrscheinlich sucht man jemanden, der ihn verdrängen kann. Oder der seinen Platz einnimmt, wenn er sich denn zurückzieht. Eminem hat in den USA mit Recovery das bestverkaufte Album des Jahres 2010 abgeliefert. Und wahrscheinlich ist nur Platz für einen einzigen weißen Rapper. Bei ihm aber kommt so vieles zusammen: Er ist wirklich einer der besten Rapper – auch im Vergleich mit schwarzen Rappern. Er ist kein gecasteter Hiphopper, sondern stammt aus einem der miesesten Viertel im miesen Detroit, er hat die Anerkennung der großen des Hip-Hop, von Jay-Z bis Dr. Dre.

Yelawolf versucht schon eine ganze Weile, den Durchbruch zu schaffen – seit Anfang des Jahres ist der schon 31-Jährige (und das ist im Hip-Hop wirklich schon alt) beim Label von Eminem unter Vertrag. Er kann gut rappen, verkörpert eine „White-Trash-Ästhetik“, die wohl nicht aufgesetzt ist – und er kann ziemlich gut Skateboard fahren – auch das kommt in den weißen Vorstädten gut an.

Vor zwei Jahren tauchte in Pennsylvania Asher Roth auf, er konnte aber nicht einlösen, was man sich von ihm versprach. Noch nicht klar ist, was mit Machine Gun Kelly passieren wird. Der ist gerade erst 20 Jahre alt, stark tätowiert, und hat in Cleveland – eine Stadt, die mit ähnlichen Problemen wie Detroit kämpft – eine große Fan-Gemeinde hinter sich gebracht. Er heißt übrigens Machine Gun Kelly, weil er seine Raps in heftiger Geschwindigkeit raushaut.

Und warum gibt es gerade jetzt so viele Anwärter auf den Titel „next Eminem“? Das hat meiner Ansicht nach viel mit Eminem selbst zu tun: Er tauchte vor gut zwölf Jahren auf der Hip-Hop-Bühne auf . Zwölf Jahre als Idol und Vorbild– in dieser Zeit dürfte er viele weiße Kids inspiriert, sich selbst ernsthaft als Rapper zu versuchen, ohne sich lächerlich zu machen. So eine Gestalt hat es im Hip Hop noch nicht gegeben, auch wenn die Beastie Boy, House of Pain oder auch Bubba Sparxxx schon vorher klar gemacht hatten: Mit weißer Rap-Music lässt sich Geld verdienen. Viel Geld. Das ist die eine Seite. Die andere: Eminem hat schon mehrmals seinen Rückzug verkündet. Und auch wenn er dann zurückkam: Sollte er wirklich endgültig gehen oder mit jetzt 38 Jahren sein Appeal für die jungen Hip-Hop-Fans verlieren, dann will wohl jede einzelne Plattenfirma versuchen, ihren Kandidaten an seine Stelle zu setzen.

Noch ein Wort zu Internet, das spielt hier nämlich eine gehörige Rolle: Denn die wichtigen Produzenten, die Manager, die bislang als eine Art Torwächter fungierten, verlieren dadurch an Einfluss. Die weißen Vorstadt-Kids können direkter mitbestimmen, was ihnen gefällt. Und die, die selbst Musik machen, müssen nicht mehr unbedingt durch Freestyle-Wettbewerbe, durch Battles und andere Hip-Hop-Rituale gehen, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Hip-Hop-Kultur wird sich dadurch vermutlich weiter ändern – und vielleicht sogar einen ganz überraschenden Eminem-Nachfolger zulassen. „Überraschend“ zeigt schon: Man kann nicht voraussagen, wer das wird. Wahrscheinlich aber wird er aus einer der großen Städte kommen, vielleicht sogar aus einer, die bislang nicht auf der Hip-Hop-Landkarte war. Sam Adams fällt einem in diesem Zusammenhang ein: Boston’s Boy hieß sein Debütalbum – er ist genau einer von diesen Self-Made-Rappern!