Techno, Techno, Techno. Und für immer.

Wenn die Toten nicht wissen, dass sie tot sind, und die Lebenden spüren, wie es um sie herum spukt, dann ist das erstens einigermaßen gruslig. Und zweitens sind wir mittendrin in „The Others“, einem Mysteryfilm mit Nicole Kidman aus dem Jahr 2001. Düster, verstörend, aber auch hypnotisch geht es darin zu und das wäre dann auch schon die Verbindung zu „The Other“, dem neuen Album vom Berliner Duo Pan-Pot. Die 14 Tracks, die Thomas Benedix und Tassilo Ippenberger dafür gemeinsam in ihren Studios zusammengengebraut haben, haben es in sich. Über allem liegt, trotz Gastsängern, trotz gelegentlicher Popmomente, eine düstere Grundstimmung, dazu die psychedelisch wirkenden Sounds, die sich unaufhaltsam und mit der Präzision einer Schlagbohrmaschine in die Ohren ihrer Hörer schrauben.
Aber mit „The Others“ hat „The Other“ dann doch nichts zu tun: „Ach, das heißt einfach so, weil es eben das ‚andere’ Album ist, das nächste, das zweite“, sagt Tassilo im Skype-Interview, während er in Ibiza sitzt. „Wir haben uns acht Jahre dafür Zeit gelassen und so schnell wird ja auch kein neues kommen.“ Schade eigentlich, eine Verbindung zum Geisterfilm hätte wirklich gut gepasst! Schon der knapp drei Minuten lange Intro-Track „Your Attention“ lässt ahnen, dass hier keine ganz normale, sondern eine neblig-trüb angehauchte Platte auf einen wartet. Klebrig langsam, so, als steckten die Beats in Honig fest, fragt eine künstlich wirkende Frauenstimme ob – anyone interested? - irgendjemand interessiert sei. „Woran denn?“, möchte man zurückfragen. An diesem Album? An Sex? An der Welt? Oder? Die Antwort bleibt aus.

Acht Jahre haben Pan-Pot verstreichen lassen zwischen ihrem Erstling „Panorama“ und diesem zweiten Album „The Other“. Acht Jahre, in denen sich das Leben der beiden Musiker komplett verwandelt hat. 2007 waren sie noch einigermaßen unbekannte Newcomer, jetzt sind die beiden DJs etablierte Rave-Zirkus-Schwergewichte, denen das Leben ziemlich gut mitgespielt hat. Und man kann sie ruhig noch mal erzählen, ihre Anfangsgeschichte, vor allem als Ermutigung für all die unbekannten DJs und Produzenten, die nach wie vor davon träumen, das Hobby zum Beruf werden zu lassen und den Beruf zur Karriere.

Also Rückblende: Vor elf Jahren treffen die beiden in Berlin aufeinander. An der SAE, der School auf Audio Engineering, wollen sie unabhängig voneinander lernen, wie man professionell Musik produziert. Und im Gegensatz zu ihren Mitschülern interessieren sie sich ausschließlich für Techno. So trafen sie zusammen, Thomas, der Brandenburger Raver, dessen erste Kassette (!) ein „Thunderdome-Tape“ mit Hardcore-Techno war, und Tassilo, ein aus Oberbayern stammender Sunnyboy, der in DJ Hells „Villa“ gejobbt hatte. Die gemeinsame Leidenschaft schweißt zusammen, schnell wird gemeinsam an Sounds gearbeitet, es funkt zwischen den beiden auf einer persönlichen und einer musikalischen Ebene, wenn man das überhaupt so trennen kann. Kurze Zeit später organisieren die beiden ihre erste Party im Pavillon, einem kleinen Eventschuppen im Volkspark Friedrichshain. Sie buchen als DJ Anja Schneider. Gäste kommen so gut wie keine (die Erinnerungen schwanken zwischen zehn und zwanzig), was die Veranstaltung zum kompletten Flop werden lässt. Aber so bleibt viel Zeit zum Reden und zum Kennenlernen: wenig später veröffentlichen Pan-Pot mit „Popy & Caste“ ihre erste 12-Inch bei Anja Schneiders Label-Neugründung „Mobilee“. Um das abzukürzen: von da ab ging es eigentlich nur noch bergauf – und zwar für Pan-Pot und für Mobilee.

Aus den Mitzwanzigern von damals sind Mitdreißiger von heute geworden. Und der Traum von der großen DJ-Karriere ist schon lange Realität. Von Lima bis Melbourne, von Las Vegas bis Moskau, von Tokio bis Toronto haben sie aufgelegt, immer sind sie unterwegs, immer kommen die Menschen, um einen besonderen Moment, einen besonderen Abend, eine besondere Nacht zu erleben. „Wir sind ja ständig auf Achse. Und weil wir so viel unterwegs sind, hat es auch so lange mit diesem neuen Album gedauert. Erst mal haben wir beide Ideen gesammelt, aber getrennt voneinander. Uns auch von anderen Tracks, von anderen Leuten inspirieren lassen“, sagt Thomas. Insgesamt habe man ein Jahr an „The Other“ gesessen.

Simon und Garfunkel, die Gallagher-Brüder, Highfish & Diringer - die Popmusik, auch die elektronische, kennt viele Duos, die als Songschreiber, Sänger, Produzenten miteinander Musik fabrizieren und die sich, egal, wie gut es läuft, über kurz oder lang zerstreiten. Wenn also ein Duo wie Pan-Pot jetzt schon seit elf Jahren miteinander arbeitet, länger, als so manche Ehe hält, dann hat das natürlich einen Grund: „Getrennt voneinander könnte man das natürlich auch durchziehen. Aber es würde komplett anders klingen. Wir sind eine Einheit.“
Wer die beiden schon einmal hat spielen sehen, kann sich denken, warum es bei ihnen so lange schon so gut läuft. Tassilo und Thomas sind fast immer gut drauf. Kein Diven-Gehabe, keine grundlos schlechte Laune, kein Rumgezicke. Im Gegenteil, die beiden verlieren sogar dann nicht ihre positive Ausstrahlung, wenn mal was schief läuft: „Die Kompromissbereitschaft ist enorm gestiegen. Wir können das im Studio gut akzeptieren, wenn der eine die Ideen des anderen scheiße findet! Künstler sind ja große Egomanen, aber wir nicht, das ist cool. Muss man allerdings aufpassen, wenn wir mal mit anderen Musikern zusammenarbeiten, da können wir nicht so offen reden wie untereinander.“

Ihre DJ-Sets haben dabei die gleichen Qualitäten wie auch ihre Tracks. Sowohl hier wie dort geht es sehr ausgefeilt, dramatisch und hochwertig zur Sache, die Musik ist wirklich gut produziert, technisch hervorragend legen sie auf. Es ist wohl doch nicht so, dass jeder, der den Sync-Button drücken kann, das Zeug zum DJ hat. Und auch nicht jeder, der sich mit Ableton oder Logic auskennt, produziert veröffentlichenswertes Zeug. Für die große Karriere muss man schon sehr sorgfältig herangehen, so sorgfältig eben wie Pan-Pot.

Den Sommer haben beide zum Teil auf Ibizia verbracht. Thomas mit seiner Familie, Tassilo, der in Berlin die Riverside-Studios in Kreuzberg mitgegründet hat, immer dann, wenn ein Auftritt in Ibizas bekanntestem Club „Amnesia“ anstand. Denn auch dort sind sie mittlerweile gern gesehene Gäste, mindestens zwei Mal im Monat legen sie im Rahmen der HYTE-Nacht im Amnesia auf. Die Leute strömen in den Club, es ist bekannt, dass Pan-Pot nicht nur versprechen, sondern liefern: ihre notorisch gute Laune färbt ab, dazu der No-Bullshit-Ansatz, den die beiden pflegen. Es geht nicht um Stargehabe („Nein, Paris-Hilton-Gagen konnten wir leider noch nicht aushandeln, aber es reicht. Man darf ja auch nicht unterschätzen, was solche Gigs für eine Promotion auslösen. Allein schon, dass unserer Name auf den ganzen Plakaten steht, steigert den Wert am DJ-Stock-Market.“), sondern um die Energie, die ihre Musik ausstrahlt. Intensive Sounds, die nicht so einfach aus dem Ärmel geschüttelt werden können, sondern an denen lange geschraubt werden muss. Pan-Pot sind Perfektionisten, sie suchen lange nach den richtigen Klängen und dem richtigen Zusammenspiel zwischen Stimmung und Rhythmus, zwischen Melodie und Deepness.

„The Other“ ist dementsprechend eine Abfahrt, ein Film, der sich vor dem inneren Auge abspielt. Und wenn der Motor mal den Geist aufgibt – wie zum Beispiel im Track „Broken Engine“ – dann ist das nie wörtlich zu verstehen und vor allem nie von Dauer. Die Musik hält nur kurz an und nimmt dann wieder volle Fahrt auf. Das Album verdiene einen „Eintrag in die Geschichtsbücher“, textet ihr Plattenpromoter. Darauf angesprochen, sind Pan-Pot ein wenig peinlich berührt: „So etwas würden wir selber nie über uns sagen! Aber wir hoffen, dass so viele wie möglich das Gefühl haben, etwas Besonderes gehört zu haben!“ Etwas Besonderes, davon sind die beiden überzeugt, haben sie aber schon geschaffen. Thomas erzählt, dass er normalerweise die eigenen Tracks, wenn sie denn fertig gemastert sind, nicht mehr anhört. Bei „The Other“ sei das anders, da liefe die Musik, mit der man sich zuvor ein Jahr beschäftigt habe, auch mal im Auto oder im Flugzeug: „Wir haben den Spagat geschafft, zwischen den Genres hin und her zu switchen, ohne dafür alles in eine Kiste oder in einen Topf zu schütten.“ Trotzdem, darauf legt er wert, sei die Pan-Pot-Linie drin: „Das ist wirklich unser Style, unsere Marke. Das Album hat einen guten Spannungsbogen. Wir zeigen damit alles, was wir zeigen wollten.“

Noch einmal kurz zur jüngeren Karriere von Pan-Pot. Zwei ziemlich wichtige Dinge haben sich da in den letzten anderthalb Jahren abgespielt, die ihr Album mitbestimmt haben. Die beiden Musiker sind nämlich auf zweifache Art und Weise erwachsen geworden. Der gelernte Koch Thomas hat eine Tochter bekommen, die seine Weltsicht noch einmal verändert hat – auf einmal ist da ein Mensch, für den man verantwortlich ist und der einem klar macht, dass sich Prioritäten im Leben verschieben können. Und dann ist da die Abnabelung von Mobilee, dem Label, mit dem sie groß geworden sind. 2013 erschien dort mit „The Mirror“ ihre letzte 12-Inch, 2014 gründeten sie ihr eigenes Label Second State. Das Kapitel Mobilee war beendet, zehn für beide Seiten erfolgreiche Jahre vorbei. Hat man sich im Streit getrennt? Das Interview mit Pan-Pot bekommt nach gut 20 Minuten zum ersten Mal eine richtig ernste Note, selbst über die nicht immer astreine Skype-Leitung merkt man, wie die beiden nach den richtigen Worten suchen: „Wir sind ...,“, bricht Tassilo ab, um neu anzusetzen: „Wir haben natürlich immer noch ... also wir grüßen uns immer noch ganz freundlich. Aber mit unserem eigenen Label haben wir eigentlich einen Schritt gewagt, der schon länger fällig war. Soundmäßig haben wir uns so entwickelt, dass das nicht mehr zu Mobilee passt, das haben Anja (Schneider) und Ralf (Kollmann) gemerkt, aber das haben auch wir festgestellt. Wenn man mal vergleicht, was wir auf Second State releasen und was Mobilee inzwischen macht, dann geht das nicht einher. Von daher eine rein logische Entscheidung.“ Und Thomas fügt an: „Wir wollten auch mal, so wie Mobilee das mit uns gemacht, jungen Leuten eine Chance geben, also etwas zurückgeben. Und wir wollten auch unser eigenes Ding machen, anstatt immer nur der Künstler von einem anderen Label zu sein.“

Auf Second State erscheint jetzt auch „The Other“, ihr „unegoistisches Egoding“, wie Tassilo es ausdrückt, auf dem – neben den typischen Peak-Time-Stücken - auch Tracks zu finden sind, die sie auf EP oder als Einzeltrack nicht machen würden. Extrem effektive Pitch-Verschiebungen, wunderbar verschachtelte Sounds, in den Tracks wabert der Bass, alles hat Luft zum Atmen und Wirken. Dramatisch aufgebaute Stücke also, herausgegeben in eigener Verantwortung: „Wenn sich unser Album nicht verkauft, dann verkauft es sich eben nicht, dann zahlen wir halt drauf. Aber wir haben gemacht, worauf wir Bock haben. Wenn wir aufs Geld schielen würden, dann hätten wir wohl ausschließlich gut funktionierende Dance-Tracks drauf gepackt. Oder so Pop-Dinger. Aber das wollten wir nicht.“ Die Gelegenheit, mit poppigen Sounds vielleicht sogar in den Mainstream-Markt zu gelangen, wäre auf jeden Fall da gewesen. Wie balearisches Feeling geht, haben Pan-Pot auf Ibiza gelernt. Und mit L.O.U., dem Sänger der befreundeten Berliner Band Abby, und mit einer Sängerin namens Frankie, die beide auf „The Other“ auftauchen hätten Pan-Pot bestimmt auch einen dieser Folk-meets-Electro-Songs hinbekommen, die gerade so inflationär auftauchen. Aber beides wollten sie nicht: „Produktionstechnisch geht es bei uns immer in Richtung Deepness. Wenn es sich zu happy anhört, dann empfinden wir das sofort als cheesy, als kitschig. Das sind nicht wir, bei uns geht düster zu. Wir sind eben Techno-Jungs!“


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