Sawlin und der Ursprung. Review.

Da hockt man nun also seit fast einer Stunde mit Sawlin zusammen auf der schmalen Terrasse eines Cafés im Ostteil Berlins. Mit Sawlin, Technoproduzenten aus der Hauptstadt, 35 Jahre alt. Mit Sawlin, der eigentlich Ronny heißt und mit seinem Debütalbum zum „Ursprung“ zurückmöchte. Man spricht über Musik und erste Cluberfahrungen, über den einen Moment, der aus ganz normalen Jungs Technobegeisterte machte. Und dann die große Überraschung: Erst spricht Sawlin über Led Zeppelin, dann über Queen. Rock? Schweinerock? „Ich finde Visionäre, die etwas wirklich Großes schaffen, faszinierend. Sich bis zur Selbstaufgabe verwirklichen. Das gibt’s heute gar nicht mehr!“ Sawlins musikalischer Horizont geht definitiv weiter als nur bis zur nächsten Bassdrum und wenn er über die Musik der 70er-Jahre spricht, dann meint er nicht unbedingt die Musik selbst, sondern eine musikalische Haltung. Sawlin spricht es nicht deutlich aus, aber er deutet es immer wieder an: er strebt einen unverwechselbaren Sound an, er will einzigartig sein. Eine große Aufgabe, wenn man sich mal die Ausgangsposition ansieht: Unzählige Tracks entstehen Monat für Monat, Jahr für Jahr. Und Techno ist, wenn man sich Sounds, Rhythmen und Herstellungsprozesse ansieht, kein freies Experimentierfeld, sondern unterliegt ja einer gewissen Formelhaftigkeit. „Ja, das sind die Stilmittel“, sagt Sawlin, „aber ich glaube, dass ein anderes Leben auch andere Sounds erzeugt - und ich bin anders als andere. Ich will mit meiner Musik einen eigenen Klang hinkriegen, aber das tontechnisch im Rahmen halten, damit die Leute das gerne hören.“ Musikalisch man selbst bleiben, das ist, zusammengefasst, Weg und Ziel von Sawlin.
Seit 2008 veröffentlich der Berliner eigene Tracks. Mit seinem alten Projekt „Cours de Performance“, in dem er gemeinsam mit zwei Partnern ein bisschen profillos schöne Tech-House-Landschaften erkundete, will er nicht mehr in Verbindung gebracht werden, am liebsten wäre ihm, man würde das ganz aus dem Gedächtnis streichen. Nicht, weil es schlecht war, sondern weil es nicht seinen Soundvorstellungen entsprach. Nicht hart genug? Nicht so düster wie das Ursprung-Album? „Düster ist ein schnelles Wort. Für mich ist meine Musik gar nicht düster, für mich symbolisiert dieser Klang Souveränität. Es ist eben Techno und deshalb nicht verspielt.“
Früher - wir reden hier schließlich über ein Album, das schon im Titel zurückschaut - hatte das Musikmachen für Sawlin beinahe therapeutische Wirkung. Aggressive, düstere Klänge, die man als Produzent in die Musik packte, verbannte man so aus dem eigenen Geist, wurde sie sozusagen los. Ein bisschen sei das immer noch so. Um welche „Ursprünge“ aber geht es nun in diesem Album, um die der Musikrichtung Techno? Oder um die Ursprünge Sawlins? Die Tracktitel selbst bringen einen erst einmal nicht weiter: Extremo. Kendub. Bachrohr. Sauseschritt. Der Sound: relativ schnörkelloser, aber fesselnder Techno, eher für den Club als fürs Wohnzimmer gemacht, maschinelle Klänge, die nie stumpf wirken, sondern fein aufeinander abgestimmt sind. Die Tracks entwickeln sich – und Sawlin gibt ihnen die Zeit dafür: „Es gab am Anfang kein bewusstes Konzept. Erst gegen Ende hin wurde mir klar, dass es um den Ursprung geht, um meinen und um den der Musik. Ich wollte diesen Klang, den Techno früher hatte, in meine Musik übertragen. Deshalb habe ich mir auch noch eine alte Revox-Bandmaschine gekauft, das ist ein anderer Sound.“
Ruhige, wie Sawlin sagt, „kunstvolle“ Sachen gibt es von ihm schon zur Genüge. Dutzende von Tracks hat er in den letzten Jahren veröffentlicht, vor allem beim Berliner Label Vault Series, beim Delsin-Unterlabel Ann Aimee und bei Speedy Js Electric Deluxe. Und weil es diese verspielteren Tracks gibt, mussten sie auch nicht mit auf „Ursprung“: „Ursprung ist ein Album, das ich für den Club gemacht habe. Man kann es zwar auch zu Hause hören, muss man aber nicht.“ Einige der insgesamt acht Tracks fallen dabei besonders auf. „Ruinen“ etwa, in dem hinter der mächtigen Bassdrum feine Sounds durchschimmern, die an hallende Schritte erinnern. Dazu Stimmfetzen, mysteriöse Melodien. Sawlin dachte hier an seine Technoerfahrungen in einem Keller-Club in Jüterbog: „Frühe 90er, Ruinen, Katakomben, Strobo. Das ist so eine Art Soundtrack dazu.“ Besonders wichtig ist Sawlin ein Track namens „I’ve Seen The Future“. Die gleichlautende Vocalline, die den Track durchzieht, fand sich auf einer Sample-Platte für DJs – und auf einem alten Mixtape, das er immer und immer wieder gehört hatte: „Ich bin ja eigentlich so einer, der die Zukunft gesehen hat. Ich habe schon immer vorausgeahnt, wo es musikalisch hin geht.“
Sawlin, so viel ist sicher, hat einen Plan. Den eigenen Sound weiterentwickeln, Musik machen, als Live-Act durch die Welt reisen, zumindest gelegentlich, denn eigentlich bereitet ihm das Reisen Stress. Zu Hause, wo er auch sein Studio hat, mastered er außerdem für andere, zum Beispiel für Robert Hood, für Psyk, für Mark Broom. Und dann ist ja da auch noch der Nachwuchs – Sawlin ist gerade Vater geworden: „Ich will mit meiner Musik die Familie ernähren können, wer sich die ganze Zeit Sorgen macht, der kann nicht kreativ sein. Aber mir macht die Arbeit im Studio ja auch viel Spaß. Ich könnte mir vorstellen, dabei draufzugehen, so dass man mich als Opa von der Konsole kratzen muss.“