Die zehn meistverkauften Alben der Woche durch den Fleischwolf gedreht

Flower
Die deutschen Charts haben keine Angst vor Klischees oder Plattitüden. So hängt in der aktuellen Top-Ten der eine „am seidenen Faden“, der andere schwört „bei seiner Seele“, eine Dritte verspürt „Glücksgefühle“ – und selbst die ewig Junggebliebenen fehlen nicht. Was es sonst noch über die zehn meistverkauften Alben der Woche zu berichten gibt? Einiges.
Auf Platz 10: Tim Bendzko mit seinem Album „Am seidenen Faden“.
Da kaufen also seit Wochen gar nicht so wenige Menschen das zweite Album von Timmy aus Berlin – und das, obwohl diese Platte eigentlich nur ziemlich normale Geschichten aus dem Alltag eines Durchschnittsmenschen erzählt. Der Titel soll Gefahr signalisieren. Doch am seidenen Faden hängt hier nur eins: meine Geduld mit diesem früher einmal interessant scheinenden Sänger.

Platz 9: Bee Gees – Mythology
Mythos? Ha! Selbstläufer! Dicke CD-Box der Star-Band zum Sparpreis plus dazugehörige Fernsehshow – klar gibt das ne Chartsplatzierung. Allerdings mit eingebautem Überraschungseffekt für den Käufer: Die Bee Gees haben nicht nur Überhits wie Staying Alive, Night Fever oder Tragedy aufgenommen, sondern auch noch jede Menge Schrott. Findet sich alles in der Mythology-Box.

Platz 8: Beatrice Egli – Glücksgefühle
Es gibt nichts Sinnloseres als über die tiefe Bedeutung des deutschen Schlagers nachzudenken: Da ist einfach nichts! Innerhalb dieses Vakuums gelingt der Schweizerin Beatrice Egli aber eine echte Sensation: Ihr Nichts ist noch ein Stück nichtiger als die vielen anderen Nichtse!

Platz 7: Sportfreunde Stiller – New York, Rio, Rosenheim
Die Sportfreunde Stiller, die man nun wirklich nicht mehr „Sportis“ nennen sollte, sind das Gegenteil von Glamour, Glanz und Gloria. Nöligkeit ist ihre Nische. Ihre Texte: tausend Mal gehört, tausend Mal ist nichts passiert – an ein „Zoom“ glauben nur noch unverbesserliche Optimisten.


Platz 6: Daft Punk – Random Access Memories
Es geht: Man kann gleichzeitig sehr gute Musik machen, eine gnadenlose Marketingkampagne fahren, sich der Öffentlichkeit verweigern und in den Charts landen. Daft Punk spielen komplett nach ihren eigenen Regeln und ich kriege mich gar nicht mehr ein, dass Kunst und Pop und Kommerz mal wieder zusammengefunden haben.

Ganz anders auf Platz 5: Da ist die Flensburger Kunstgewerbe-Shanty-Band Santiano gestrandet - „Mit den Gezeiten“ heißt ihr Album, darauf findet sich jede Menge Seemannsgarn, das so authentisch ist wie Meeresfrüchte aus Plastik. Ein gut gemeinter Hinweis an alle Fans von Santiano: „Mit den Gezeiten“ lässt einen nicht zum abenteuerlustigen Kapitän mutieren! Ein Pauschalurlaub auf Gran Canaria ist schließlich auch keine Weltreise!

Platz 4: Xavier Naidoo – Bei meiner Seele
Noch so einer, der seine Songs mit Klischees überfrachtet. Aber wer schon mal gesehen hat, wie herzzerreißend Xavier Naidoo gemeinsam mit Ernie und Bert in der Sesamstraße sang, der weiß: das ist einer von den Guten! Der Feind sitzt woanders – nicht in Mannheim. Und auch nicht in der Sesamstrasse.

Platz 3: Europa von LaBrassBanda
Hier ist er: Der Beavis-And-Butthead-Moment dieser Top-10-Kolumne: Wie die beiden ehemaligen MTV-Aushängeschilder sitze auch ich vor einer Band, die mich mehr oder weniger sprachlos macht: Ich versteh’s nicht, ich möcht’s nicht hören – aber gut find ich’s trotzdem. Ist das bayrisch?

Platz 2: Black Sabbath – 13
Das Album, das Frontmann Ozzy Osbourne nach Jahren der Abstinenz hat rückfällig werden lassen. Kein Wunder: es hört sich nicht nur, es fühlt sich sogar nach früher an – nach den besten Zeiten von Black Sabbath, in denen Ozzy Fledermäusen den Kopf abbiss und im Drogenrausch seine Fäkalien an die Wand schmierte: Musik, die den Exzess fest in ihrer DNA verankert hat. Und wie sie heute wirklich nicht mehr gemacht wird.

Auf Platz 1: Die Amigos mit ihrem Album „Im Herzen jung“
Die Amigos, das muss man hier mal vorausschicken, sind die Gebrüder Ulrich aus Hessen - genauso alt wie der gerade erwähnte Ozzy Osbourne. Ihre Band gibt es seit 1970 – also fast genau so lange wie Black Sabbath. Da hört’s aber auch auf mit den Gemeinsamkeiten: Die Amigos waren schon zu Anfang ihrer Laufbahn als 20-Jährige vorzeitig vergreist – „Im Herzen jung“, ihr neues Album, erweist sich damit als große Lüge – die Summe der vielen kleinen Lügen, die die Amigos „Lieder“ nennen.