Die transilvanische Achterbahn

Flower
Mit Süßigkeiten – englisch: candy - ist das ja so eine Sache: Süßigkeiten sind auf der einen Seite natürlich sehr schön ... süß. Auf der anderen Seite machen sie die Zähne, die Figur, die Gesundheit kaputt. Superstar Madonna versucht diesen Widerspruch mit Hilfe ihrer auch in Berlin mehrfach vertretenen Fitnessstudiokette „Hard Candy“ zu vertuschen. Der sehr viel weniger bekannte Musikproduzent Patric Catani geht ähnlich vor, er lässt seine süße Seite als „Candie Hank“ heraushängen. Wann also wird die Musik von Candie Hank bei Hard Candy laufen? Vermutlich nie. Denn mit Pop a la Madonna hat Patric Catani nichts am Hut. Süß sind seine Candie-Hank-Sounds nur im Vergleich zu den wirklich harten, krachigen Sounds, die er am Anfang seiner musikalischen Karriere verfolgte.
Und, schon verwirrt nach so wenigen Sätzen? Dann herzlich willkommen in der Welt eines ruhelosen Produzenten, der gar nicht anders kann, als zu verwirren. Die Liste seiner veröffentlichten Platten und Songs ist lang, die Zahl seiner Pseudonyme groß, die Projekte, an denen er schon mitgearbeitet hat, unübersichtlich. Und dann erst die Musik, zum Beispiel auf seinem neuen Candie-Hank-Album „Demons“: Hip-Hop-Beats treffen auf Surf-Gitarren, Easy-Listening-Melodien, japanischer, englischer, osteuropäischer Gesang, Gesprächsfetzen und Effekte wie aus überdrehten Zeichentrickfilmen ergeben zusammen eine überdrehte Mischung. Das schöne aber ist, dass Patric Catani mit dieser seltsamen elektronischen Musik einen echten Sog erzeugt. Seine Tracks grooven, die überraschenden Brüche innerhalb der Songs, die Soundverschiebungen und Rhythmuswechsel erzeugen Spannung. Aber welche Dämonen sollen da eigentlich gebannt werden? Patric Catani, der das Kreuzberger Café San Remo nicht weit von seiner Wohnung und seinem Studio als Treffpunkt für ein Gespräch vorgeschlagen hat, tut sich mit einer genauen Erklärung schwer: “Es ist jetzt nicht so, dass ich da countrymäßig meine Seele ausschütte. Aber ich mache seit 20 Jahren Musik, in dieser Zeit hat sich einiges angesammelt. Das beinhaltet Mama genauso wie Verlust und Spaß, meine Zahnärztin in Bukarest oder einen Fahrstuhl.“
Das mit dem Fahrstuhl und mit der Zahnärztin in Bukarest ist übrigens kein Witz, seit Jahren pendelt der ursprünglich aus Köln kommende Catani zwischen Berlin und der rumänischen Hauptstadt hin und her, seine Freundin wohnt dort, sogar einen „Mini-Mini-Raum“ habe er als behelfsmäßiges Studio in Bukarest. So ein regelmäßiger Tapetenwechsel geht an einem hyperaktiven Musiker wie Catani natürlich nicht spurlos vorbei bzw. so etwas kann ein professioneller Produzent wie er gar nicht ignorieren: der 38-Jährige lässt sich von allem und jeden inspirieren, saugt auf, was nicht bei drei wieder komplett verstummt ist, wie ein Akku werden seine inneren Speicher ständig entleert und wieder aufgefüllt. Sein Album Demons hat logischerweise eine deutlich osteuropäische Note, Balalaikas ertönen, Hip-Hop-Polka-Rhythmen schwellen an und wieder ab, Songs heißen „Babyshka Demona“ und „Transylvanian Voodoo“. Und die Zahnärztin – und der Fahrstuhl! – sind nicht nur im Geiste dabei, sondern auch wirklich zu hören.
Akkus können natürlich auch überladen werden. Overload bei Patri Catani? „Was für mich auch ein guter Weg ist, um Overload zu vermeiden, ist diese Städtetrennung, nach Berlin zu kommen, um hier zu arbeiten, aber dort auf andere Gedanken zu kommen. Also den Notstecker zu ziehen und was anderes zu machen. Ich sehe aber viele meiner Sachen nicht als Arbeit. Das ist das angenehme.“ Trotzdem: Wer sich an einer so wilden Mischung abarbeitet wie er, läuft Gefahr, sich zu verrennen. Catani, der die letzten sieben Jahre an Demons gearbeitet hat, behält aber über elf Stücke komplett die Kontrolle. Der Wahnsinn ist gar kein richtiger Wahnsinn, er stellt sich als gekonnt konstruierter Soundentwurf dar, dessen Ziel vor allem zu sein scheint, nicht zu langweilen. In einer leicht wirkenden, aber kompliziert erarbeiteten Choreographie lässt Catani die inneren Dämonen umherspringen: „Verflossene Lieben gehören dazu. Leute, die krank geworden sind oder gestorben. Oder Groll, der sich angesammelt hat und den man besiegeln will mit verschiedenen Sachen,“ erklärt er sein „Demons“-Album. Darauf werde nicht wirklich eine Geschichte erzählt, aber „es ist ein Kreis mit einem Hauptstück“. Dieses Hauptstück steht ganz am Ende und heißt bezeichnenderweise „Peace (with my demons)“. Catani singt hier ganz entspannt von seinem neuen inneren Frieden, während ein treibender Rhythmus das Gegenteil behauptet. Die Idee dazu kam ihm vor einem Jahr in Australien: „Wir saßen auf einem Cliff und um uns herum gab es mehrere Gewitter. Das machte einen wahnsinnigen Eindruck auf mich. Und hat auch etwas mit Flucht zu tun, auch wenn ich jetzt nicht flüchten will.“ „Kraut-Surf“ nennt der 38-Jährige die Musik auf diesem Stück, ein „nicht so puristischer“ Bereich, in dem er in Zukunft mehr ausprobieren will.
Auf einem anderen Song namens Swimming Rabbit erklingt die süßliche Stimme der Japanerin Yuko Matsuyama. Catani hat ihr ein Bett aus Sixties-Gitarren und Eays-Listening-Ästhetik gebastelt, sie singt in ihrer Muttersprache von einem Hasen, der schwimmen lernen muss, um wieder nach Hause zurückkehren zu können. Eigentlich ein japanisches Kinderlied, aber das Kindliche hört man ihm nicht an. Und für Catani steckt auch hier eine tiefere Bedeutung dahinter: „Das hat mit mir und meinem Leben zu tun, mit einer Fernbeziehung, die sich nicht erfüllt hat.“
Insgesamt hält sich der 38-Jährige im Gespräch ziemlich bedeckt, was es mit seinen Dämonen wirklich auf sich hat, so, als hätte er „Demons“ gar nicht für seine Hörer, sondern für sich gemacht. Es ist mit ziemlicher Sicherheit aber Catanis persönlichstes Album. Hier findet sich die Essenz seines künstlerischen Schaffens: die galoppierenden Beats sind fast so etwas wie ein Markenzeichen, die Songs des Cartoon-Fans, der auf russische Zeichentrick-Strips und tschechische Kinderfilme steht, sind voller Humor. Musik mit Augenzwinkern, die trotzdem nicht albern wirkt. Eher wie ein ernstgemeinter Soundtrack zu einer gekonnt durchgedrehten Screwball-Comedy.Patric Catani macht visuelle Musik. Und bevor man ihm sagen kann, dass sich das doch hervorragend für Videospiele eignen würde, erzählt er, dass sich seine Musik dort längst findet. Außerdem hat er lange Zeit für die schräge Puppen-Hip-Hop-Band Puppetmastaz Beats gebastelt, auch in Filmen und am Theater kann man seinen Sounds begegnen. Es hat sich also rumgesprochen, wie konzentriert und stilvoll der Produzent, der einst mit Hardcore-Krach-Techno anfing, inzwischen arbeitet. Außenseitermusik, die sich anders anhört als der Pop-Einheitsbrei, die aber trotzdem in ihren Bann zieht. Nicht mehr in erster Linie gesampelt, sondern selbst komponiert und eingespielt. Am Ende dämmert dem Reporter, dass er sich vom Albumtitel in die Irre führen ließ und die ganze Zeit von falschen Voraussetzungen ausging: „Bist Du etwa ein selbstdisziplinierter Mensch?“ – „Ich glaube ja.“