Der Deichkind-Angriff von ganz unten

Flower
Manchmal könnte man glauben, die Musikindustrie möchte überhaupt nicht überleben: Da bestellt der feine Herr Musikjournalist (ja, genau, ich) das neue Deichkind-Album zwecks Rezension. Erstens kommt es eine Woche NACH der geplanten Besprechung, zweitens in einem ziemlich großen Karton - das Plattenlabel hat freundlicherweise noch 24 weitere Exemplare beigelegt, die jetzt auf möglichst bürokratischem Wege wieder zurückgeschickt werden müssen. Ein Zeichen dafür, dass „Befehl von ganz unten“ nicht so gut läuft? Ein Beleg dafür, dass die Musikindustrie weiter spart und auch in sensiblen Bereichen nur noch Praktikanten einsetzt? Oder der Beweis, dass ich als Kritiker endlich die Rolle spiele, in der ich mich selbst schon lange sehe? Fragen, die erst einmal unbeantwortet bleiben müssen. Widmen wir uns also lieber der Musik.
Das schaffen nur Deichkind: Man fühlt sich unwohl dabei, auf nüchtern-distanzierte Kritiker-Art über das neue Album der Hamburger Electro-Hiphop-Formation zu sprechen. Eigentlich müsste man doch genauso über Deichkind rede, wie die Musik machen. Ein bisschen irre und abgedreht, witzig, von vorne und hintersinnig zugleich, laut und krachend und trotzdem nicht platt. Mit kurzen, prägnanten Text-Botschaften, die die Kraft haben, ganze Lebensentwürfe und Karrieren in Frage zu stellen. Dann aber die Einsicht: Was Deichkind können, können nur Deichkind.
Befehl von ganz unten heißt ihre neue Platte,Das fünfte Album in 15 Jahren, die Band bleibt ihrem Rezept treu: Wuchtige Sounds, Texte, die alles dürfen, nur nicht langweilig sein. Kein Wunder, dass Deichkind seit Jahren auf deutschen Festival-Bühnen abgefeiert werden und oft für den Höhepunkt sorgen. Eine Ausnahme aber gibt es auf dem neuen Werk schon: Ein Song namens „Die rote Kiste“. Deichkind haben sich hier für knapp zwei Minuten mit den mehrmals indizierten Deutsch-Punks von Slime zusammengetan: Dass es davon mal abgesehen auf „Befehl von ganz unten“ auf gewohnten Pfaden weitergeht, war nicht unbedingt zu erwarten: Vor drei Jahren starb der Deichkind-Produzent Sebi Hackert. Er hatte maßgeblich den Sound bestimmt, nach seinem plötzlichen Tod musste die Band entscheiden, wie und ob man überhaupt noch zusammen bleiben mochte. Man mochte ...
Ein Wort noch zum Image der Band: Deichkind gelten als Garant für ein tobendes Publikum, als Partyband, die man nicht unbedingt ernst nehmen muss, geht es doch oft genug um Rausch und Exzess. Aber hinter den infantil wirkenden Texten offenbaren sich Weisheiten mit philosophischem Tiefgang. Kein Witz.