Lotic und seine Sounds aus einer anderen Welt

Flower
J’Kerian Morgan alias Lotic ist „not your local queer artist“. Aber trotzdem einer der spannendsten DJs, die derzeit von Berlin aus die Clubwelt bereichern. Gerade hat er beim Yo!Sissy-Festival eines seiner berüchtigten DJ-Sets abgeliefert. Vorher aber saß er in meiner Küche und hat über alles mögliche gesprochen, über Musik, über Mietprobleme in Berlin, über die queere Szene - und darüber, warum er nur noch aus seiner Heimat, den USA, wegwollte. Interessanter Mensch, interessanter Musiker.
So manche Erfahrung machen nur Berliner, die noch nicht so lange in der Stadt wohnen. Zum Beispiel die, dass eines Morgens fünf fremde Menschen in deiner Wohnung stehen und dir mitteilen, dass Du zehn Minuten hast, um zu verschwinden. J’Kerian Morgan ist das passiert, als Untermieter. Der eigentliche Mieter der Wohnung hat zwar sein Geld kassiert, es aber nicht weitergeleitet – und auch nichts von einer drohenden Räumung erzählt. Und dann stehst du eben da, ohne Dach über dem Kopf, in einer Stadt, in der Wohnraum immer knapper wird. J’Kerian Morgan, Künstlername Lotic, hat sich davon nicht schocken lassen. In Houston, Texas geboren ist er, wie er auf Englisch beim Kaffee – ohne Milch, ohne Zucker – erzählt, der erste aus seiner Familie, der studiert hat, der erste, der ins Ausland gegangen ist.

2012 war das, damals war J’Kerian Morgan 23 Jahre alt, gerade fertig mit dem Studium: „Ich wollte nur noch weg aus den USA, egal wohin! Das Land in der Rezession und schwarze Jungs wie ich mussten ums Überleben fürchten. Es war die Zeit, als Trayvon Martin erschossen wurde. Von Berlin wusste ich so gut wie gar nichts, aber mein Freund wollte damals hierher.“ Er hat es nicht bereut: In den fünf Jahren, die seitdem vergangen sind, hat er weiter an seiner Musik gearbeitet, er macht als Produzent sehr eigene elektronische Musik, als DJ sorgt er für irritierende Momente – selbst für Berliner Verhältnisse, also in einer Stadt, in der viele irritierende Musiker und DJs zu Hause sind. Wie er das macht? „Be different“ ist seine Devise: „Als DJ will ich, dass die Leute tanzen, aber ich will auch, dass sie nicht genau wissen, was sie als nächstes erwartet. “ Wer sich Lotics Boiler-Room-DJ-Set im Netz ansieht, versteht, was das heißt: Es geht los mit gesampelten, zerstückelten Rapeinlagen, die an sexueller Eindeutigkeit nichts zu wünschen übriglassen. Es geht weiter mit wilden elektronischen Sounds und Beats, die normalerweise das Label „futuristisch“ übergestülpt bekommen, Techno und Hip-Hop, R’n’B, globaler Ghetto-Tech und elektronische Avantgarde vermischen sich miteinander oder lösen einander ab, so genau lässt sich das nicht sagen. Das Publikum kann sich nicht auf einen durchgehenden Beat stützen, immer wieder wird der Fluss der Musik kurz unterbrochen oder ganz gestoppt. Und auf einmal ertönen große Pophits, Rihanna oder Beyoncé zum Beispiel, und weil das ganz und gar nicht ironisch gemeint ist, schauen die Leute, halten inne, um dann im Lauf der Stunde immer mehr in den Bann der Musik zu geraten. Das ist eine mutige Art von Auflegen, die Lotic hier pflegt, aber der 28-Jährige spielt das herunter: „Ich habe vor allem deshalb als DJ angefangen, weil ich damit Geld verdienen konnte. Durch mein Studium weiß ich, wie ich Musik mit subversiver Kraft schaffen kann, aber beim Deejaying geht es ja eher um Geschmack als ums Können. Beim Produzieren ist es anders. “ Aufbauen, einreißen, aufbauen, einreißen, so funktioniert das bei Lotic. Meist ist er der letzte, der an einem Abend das DJ-Pult übernimmt, die Veranstalter wüssten nicht, was sie mit ihm und seiner Musik anfangen sollen.

Gelernt hat Lotic das ursprünglich in Austin, Texas, beim Studium der elektronischen Musik. Vor allem die Musique concrete hatte es ihm angetan, Musik, die aus gesampelten Alltagsgeräuschen und Sounds besteht, die man auseinanderschneidet, staucht oder dehnt, verfremdet, neu arrangiert. Die Ursprünge dieser Klänge liegen schon fünfzig, sechzig Jahre zurück. Lotic aber hat sie ins Jetzt geholt – und ins Hier, nach Berlin. Die Stadt zieht immer noch MusikerInnen und DJs aus aller Welt an. Das hat mit den nach wie vor moderaten Lebenshaltungskosten zu tun, aber auch mit den vielen verschiedenen Clubs, die Raum bieten, um sich auszutoben, in denen sich Nischen auftun: „Ich kam hierher, als sich gerade – ziemlich schnell – eine queere Szene entwickelte, die es so, glaube ich, vorher nicht gab. Ich weiß nicht, ob ich Teil dieser Szene bis, dieses lokale Denken ist einfach nicht so meins.“ Trotzdem, so erzählt er weiter, kämen immer wieder Menschen zu ihm, die sich bedankten. Dafür, dass er mit seiner Kunst Berlin auf die Landkarte setze, dass er Werbung für die Stadt mache: „Das ist zwar sehr süß, aber gar nicht meine Absicht. Ich bin nicht der ‚local queer artist’.“

„Erwerbstätigkeit gestattet“ steht im Pass von Lotic. Es gibt Monate, da läuft es mit der „Erwerbstätigkeit“ auch sehr gut, im Juli etwa hat er sieben Auftritte als DJ. In anderen sieht es mau aus. Dann produziert er Musik, zum Beispiel Klänge für sein zweites Tanzstück. Hat diese Musik ein queeres Element? „Muss sie ja haben“, sagt Lotic, „sie hört sich so an, wie sie sich anhört, weil ich bin wer ich bin: eine schwarze Person, eine ‚femme’ Person, eine queere Person. Die Frage ist nur, ob das jemand heraushört.“ Wenn Lotic auflegt, dann sind natürlich auch andere Zeichen zu sehen, sein Make-up, sein Nagellack, sein enganliegendes, bauchfreies Top, seine einzigartige Art zu tanzen. Ob die, die nur seine produzierten Tracks kennen – „mostly straight white dudes“ – Titel wie „Slave“ oder „Heterocetera“ decodieren können, bezweifelt er. So entsteht ein kleines Dilemma: als DJ bekommt Lotic das direkte Feedback, das ihm viel bedeutet, aber nicht so viel mit der eigenen Musik zu tun hat. Und die selbst produzierten Tracks werden konsumiert, ohne dass jemand mitbekommt, dass er hier „sein Innerstes“ hineingepackt hat. Eine Ausweg gibt es natürlich aus diesem Dilemma, J’Kerian Morgan muss als Musiker bekannter werden. Die Phase, da er sich im Berliner Clubleben, im Berghain oder im SchwuZ, verloren hat, ist für ihn ohnehin vorbei, relativ schnell hat er sich entschlossen, das Projekt Lotic ernst zu nehmen, mit Plattenlabel und Agent im Hintergrund.

Und dann ist da auch noch die Familie: In den USA leben Lotics Mutter und Schwester. Die Mutter tat sich schwer: „Schwarze sind nicht homophober als Weiße, aber sie haben ein Problem mit der Homosexualität von anderen Schwarzen, vor allem schwarzen Männern. Schwul zu sein wird dann oft als ‚failure of blackness“ gesehen, als Scheitern. Man bekommt dann Bibelzitate an den Kopf geworfen, aber meine Mutter hat das nur kurz gemacht, sie hatte vor allem Angst davor, dass die Welt mir das Leben schwer macht.“ Zumindest im Augenblick aber macht es die Welt J’Kerian Morgan nicht schwer. Es läuft. Und für seine neue Wohnung in der Nähe des Spittelmarkt hat er einen regulären Mietvertrag. Da stehen so schnell keine fünf fremden Männer mehr im Wohnzimmer.