Als aus deutschem Punk die Neue Welle wurde

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Neue Deutsche Welle ... ein Begriff, über den man sich gut streiten kann - auch heute noch, mehr als 32 Jahre nachdem ihn der Plattenlabelbetreiber Burkhard Seiler alias Der Zensor das erst Mal benutzte. So unterschiedlich die Musik, die darunter zusammengenfasst wird! So gegensätzlich der Anfang und das Ende dieser Liason aus deutscher Sprache und zuerst punkigen, dann poppigen und schlagerhaften Sounds! So griffig und so schwammig zugleich!
Jürgen Teipel hat „Verschwende Deine Jugend“ geschrieben, ein Doku-Roman über die Anfänge dieser deutschsprachigen Popkultur, zusammengestellt aus Gesprächsprotokollen der Protagonisten von damals. Teipel spricht nicht von Neuer Deutscher Welle, er spricht von Deutschem Punk: „Für viele Leute war es eine Explosion von Kreativität. Also abseits des Mainstreams was machen zu können. Was zu machen, war damals, so Ende der 70er, Anfang der 80er in Punkkreisen eine ganz wichtige Sache. Ich kann mich erinnern, wie Gudrun Gut damals sagte: Ja, das und das ist Scheiße. Aber Hauptsache, er macht was!“
Etwas selber machen! Die englische Punkexplosion von 1977 hatte gezeigt, welche musikalische und gesellschaftliche Sprengkraft in diesem einfachen Konzept steckte. Und so taten sich Ende der 70er auch die ersten deutschen Bands zusammen, um mit oft kleinen Kenntnissen große kühle rohe Musik zu schaffen. Aber bloß nicht auf Englisch: „Also Deutsch war ganz wichtig, auch das hat Anfang der 70er Jahre seinen Anfang genommen, dass man da versucht hat, ernstzunehmende deutsche Texte zu schreiben, nur war das sehr politisiert, und hat noch nicht so viel mit so einer Jugendkultur oder auch so einer Kraft zu tun gehabt, die in Jugend per se drinsteckt. Von daher war es wichtig, dass Punk daher kam, wo 16-, 17-, 18-Jährige da so einen Ansatz gesucht haben, einfach ihre ganz normale Alltagssprache und auch Themen, die einfach da waren, da einbringen zu können.“ Teipel organisierte damals selbst Punk-Konzerte.

Mittagspause und S.Y.P.H., Hans-a-Plast und Fehlfarben, Wirtschaftswunder und Abwärts – unter solchen Namen tauchten die ersten Bands auf. Deutscher Herbst und Terroristenjagd, Kalter Krieg, Atomstaat – all das ein Thema in ihren Liedern. Ihre Musik, ihre Texte eine Reaktion auf die gesellschaftliche Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland: „Das habe ich als 16-, 17-Jähriger genauso wahrgenommen, das war ein ganz graues Klima, wo man so gar nicht aufmucken durfte. Vor allem nicht selber den eigenen Weg beschreiten, selber was machen, kreativ sein, das war so gar nicht angesagt damals.“
Schnell entstand aus diesen Anfängen ein eigener Stil mit eckigen Rhythmen und oft hektischer, abgehackter Sprache. Berlin, Düsseldorf und Hamburg hießen die ersten Zentren dieser neuen Musik. Die Industrie, die großen Major-Plattenlabel, bekamen von all dem zunächst einmal nichts mit – und glaubte dann nicht an einen lukrativen Markt für diese eher antikommerziell eingestellten Bands, um die herum eigenständige Indie-Label und Vertriebe entstanden: „Aber irgendwann, bzw. ganz konkret so im Lauf des Jahres 1982 kam dann halt die Industrie daher und hat gemerkt, da ist was Neues, da lässt sich Geld verdienen, das finden anscheinend viele Leute gut, was da passiert und haben dann solche Clowns/Klons auf den Markt geschmissen. Hubert Kah zum Beispiel.“ 1982 – das Jahr, in dem aus der Untergrundbewegung ein Hype wurde. Eine Jeans-Firma tourt mit Bands wie Extrabreit und Prima Klima groß durch die Bundesrepublik. Fernsehauftritte von offensiv als Neue-Deutsche-Welle-Künstlern vermarkteten Musikern häufen sich inflationär. Markus, die Spider Murphy Gang, Falco, Trio, Joachim Witt, Grauzone, Spliff gelangen nacheinander an die Spitze der deutschen Charts. Die Wut und der anarchische Spaß, die in vielen der frühen Songs zu spüren waren, werden von albernen Wortspielen und Harmlosigkeiten verdrängt. Ein chemischer Prozess, wenn man so will: Verwässern, um Kohle zu machen: „Also damals haben ganz viele Musiker einfach aufgehört, etwas zu machen, weil sie es nicht mehr ertragen haben, mit dem Ganzen in einen Topf geworfen zu werden und da hatte man das Gefühl, dass man dagegen gar nicht ankommt,aber es war auch so eine Trotzreaktion, die darin begründet war, dass ganz viele von den Punks auch keine ganz einfachen Charaktere waren.“
Deutscher Punk, deutscher New Wave, Neue Deutsche Welle, NDW. Vertane Chance oder wichtiger Startschuss? Seitdem jedenfalls ist klar, dass es funktionierende Popmusik jenseits der englischen Sprache geben kann. Bewegungen wie die Hamburger Schule und der deutsche Hip-Hop haben dieser Zeit einiges zu verdanken. Viele der unabhängigen Labelstrukturen, die es heute gibt, fanden damals ihren Anfang. Und vielleicht sogar die deutschen Comedians: „Diese ganzen ironischen Sachen, die jetzt im Fernsehen einen zur Verzweiflung treiben inzwischen, die kamen vom Punk. Ironie gab es, zumindest meines Wissens nach, im Fernsehen und im Radio definitiv nicht.“