SXSW-Diary Tag 5: Wiederauferstehung

Seit knapp einer Woche bewege ich mich also auf dem riesigen South-by-Southwest-Festival in Austin. Keine Ahnung, warum ich als gar nicht an Götter glaubender Mensch ausgerechnet die christliche Symbolik bemühe, um die einzelnen Tage mit der passenden Überschrift zu versehen. Vielleicht hat das amerikanische Pathos abgefärbt und ich will mich wichtiger machen als ich bin. Das Stimmungs-Hin-und-Her lässt sich so aber ganz gut beschreiben. Heute jedenfalls ist letzter Tag in Texas. Und leider auch St. Patricks Day, was bedeutet, dass zur Mischung aus Karneval und Love Parade auch noch eine Art Fußballatmosphäre hinzukommt. Jedenfalls auf der Kneipenmeile 6th Street. Aber da bin ich ja gar nicht.
Sondern mitten in einer Diskussionsrunde namens „Bass Culture: The Influence of Reggae Music in Britain and Beyond“. BASS! Gleich mehr dazu, ich muss ganz kurz erklären, was ich davor gemacht habe: Zuerst Schuhe gekauft: limitierte Vans „Sk8-Hi Social Distortion Edition“. Nur heute und nur im Vans Pop-up Store hier in Austin zu bekommen - offenbar eine Wiederauflage der vor Jahren von Social Distortion (Rock’n’Roll, Baby!) entworfenen Schuhe. Vans I like. Und Social Distortion ... irgendwie auch.
Danach zu einer anderen Diskussionsrunde: „What’s up with Urban Fasion & Streetware“. Und genau darum ging es. Die interessantesten, wenn auch nicht unbedingt neuen Aussagen: Ist auf lange Sicht nicht gut für die großen Streetware-Marken, wenn ihre Sachen im Ausverkauf oder den großen Kaufhäusern landen. Dann geht es nämlich ziemlich schnell bergab mit dem Image der Marke. Und niemand mag das Zeug mehr tragen. Und jetzt, da jeder Hip-Hopper und seine Großmutter, aber auch andere Musiker und Sportler sofort nach dem ersten Erfolg eine eigene Streetwear-Marke starten, sich also keine Zeit nehmen, die Marke aufzubauen, leidet der Klamottenumsatz sofort, wenn die musikalische Karriere den Bach runtergeht. Logisch. Als Beispiel wurde Nelly genannt. Da läuft wohl beides nicht mehr so gut.
Jetzt aber endlich: BASS. Gute Runde, die sich da zusammengefunden hatte, um die Geschichte der Reggae- und Bass-Musik von ihren jamaikanischen Ursprüngen bis heute zu erzählen - man sieht es vielleicht auf dem Foto (von links nach rechts: Mikey Dread (nicht der tote, sondern der lebende vom Channel One Sound System), Karl Neilson, Mykaell Riley, Lady Leshurr und Robbo Ranx). Es wurde der ganz große Bogen geschlagen: Wie Reggae nach England kam, wie er dort als identitätsstiftendes Ding wirkte, wie der Punk den Reggae entdeckte, wie es später in Richtung Jungle und Dubstep ging, wie sich die Soundsystems entwickelten und um was es bei ihnen ging und geht. Hört sich banal an, aber im Mittelpunkt steht wirklich der Sound: Möglichst bassig-bombastisch, aber eben auch technisch so gut wie irgend möglich wiedergegeben.
Flower

So stolz die Panelisten - allesamt Musiker, Produzenten, Soundsystem-Mitglieder, DJs und/oder BBC-Moderatoren - darauf sind, dass das „United Kingdom“ Bass Culture erst möglich gemacht hat, so sehr wünschten sie sich, dass das anerkannt wird. Skrillex etwa mache keine „neuartige amerikanische Dance Music“, sondern auf Reggae und Dub und Rave und Drum’n’Bass aufbauende elektronische Musik. Dass es in den USA angeblich nur drei Roots-Reggae-Soundsystems gibt, gefiel Mikey Dread auch nichtt. Worüber ich sehr froh war: Dass Lady Leshurr, eine junge Musikerin aus Birmingham, die angeblich schneller rappen kann als Busta Rhymes, nur ganz kurz ein wenig einfältig und wortarm rüberkam. In den meisten Panels hier in Austin sitzen nämlich überwiegend Männer. Ältere Männer, die meist sehr unterhaltsam, aber auch sehr ausschweifend von ihren jahrzehntelangen Erfahrungen im Rock-Pop-Business sprechen. Die paar Male, in denen eine junge Frau mit eingeladen war (und die ich gesehen habe) machte die dann meist den uninteressantesten Eindruck - wohl auch, weil sie immer als „Vertreterin der Jugend“ sprechen sollten und mit dieser Rolle überfordert waren. Nicht aber Lady Leshurr, die schnell begriff, dass sie genau wie die anderen besser über das sprechen sollte, was ihr am Herzen lag - und nicht als „Sprachrohr“. Coole Akzent, coole Musik - es geht bei ihr quer durch den Garten. Deshalb gehören ihr auch die letzten meiner Pixel vom SXSW in Austin. Ich danke für die Aufmerksamkeit und gehe noch schnell zum Australier Chet Faker, bevor es nach Hause geht. Howdy!