The KLF have entered the building (again) - nach 23 Jahren

The KLF
Die 23 ist keine ganz normale Zahl. Sie hat einige auffällige mathematische Eigenschaften. Vor allem aber gilt sie aus verschiedenen Gründen als „mystische Zahl der Popkultur“, was vor allem mit dem berühmten Kiffer-Buch „Illuminatus“ von Robert Shea und Robert Anton Wilson zu tun hat.

Auch die unterhaltsamsten und gleichzeitig anarchischsten Popprovokateure der 90er haben sich die „23“ nicht entgehen lassen: Am 23. August 1994 verbrannten The KLF nach einigen furiosen Jahren im Musikbusiness eine Million britische Pfund - und jetzt, 23 Jahre später, ist das britische Duo wieder da. Einige der Hits, mit denen The KLF Anfang der 90er für Furore sorgten: What Time Is Love, 3 AM Eternal, Justified And Ancient. Und jetzt haben sie sich also wieder zurückgemeldet mit einer dreitägigen Mitmach-Aktion in Liverpool – und mit einem Buch namens „2023 – A Trilogy“. Einem Act wie The KLF, der für Anarchie und Chaos gesorgt hat, nähert man sich am besten so strukturiert wie möglich. Also: Wer sind The KLF?
The KLF sind Jimmy Cauty und Bill Drummond, zwei Musiker/Künstler/Schriftsteller, mittlerweile 60 bzw. 64 Jahre alt. The KLF ist eine Abkürzung, wahlweise für „Kopyright Liberation Front“ oder auch „Kings of Low Frequency“ – und nur EIN Name, unter dem die beiden seit den späten 80ern in Erscheinung traten. Andere Namen: The Jams oder auch The Justified Ancients of Mu Mu, The Timelords, Federation K. Das muss man sich nicht alles merken, weil sich dahinter das immer wieder gleiche verbirgt. Nämlich ein Mischmasch aus Kunst, Mummenschanz, Popkultur und anarchischem Spaß. Natürlich war das sehr erfolgreich: mehre Top-10 oder sogar Nummer-Eins-Singles in ihrer britischen Heimat, die aber zum Teil zusammengeklaut waren, ein Handbuch, in dem sie detailiert beschrieben, wie man aus einer Handvoll Samples eben diese Nummer-Eins konstruiert, sie haben außerdem das Musikgenre Chill-Out begründet – und dann eben auch noch 1994 die eine Million Pfund verbrannt, was wohl auf ewig im Gedächtnis bleiben wird. Beide kamen aus dem Musikbusiness und wussten, wie das Popspiel funktioniert – und wie genau da Grenzen überschritten werden müssen für den Erfolg.

Und jetzt also haben sie sich in Liverpool der Öffentlichkeit präsentiert! Man muss hinzufügen: Comebacks sind in der Popgeschichte ja nichts Neues. Aber Comebacks, die 23 Jahre zuvor angekündigt werden, so etwas hat es bisher nicht gegeben. Die Erwartungen dementsprechend groß – und wurden nur so halb erfüllt. Drummond und Cauty, der eine mittlerweile kahlköpfig, der andere ein grauhaariger, bärtiger Zausel, tauchten letzte Woche, am 23. August um 00:23 in einer kleinen Straße Liverpool auf, in einem verbeulten, alten Eiswagen. Der Beginn eines drei Tage dauernden Events namens „Welcome To The Dark Ages“. Ein äußerst kompliziertes Event, offenbar, bei der Presse eigentlich nicht vorgesehen war. Eine Reporterin des englischen Guardian hat es aber geschafft, von ihr wissen wir: ein paar hundert Freiwillige hatten sich versammelt, sie mussten verschiedene Aufgaben in Liverpool übernehmen – zum Beispiel veränderte Starbucks-Logos bei der Kaffee-Kette unterbringen, in einer Band spielen, die nur für einen einziges Konzert zusammengestellt wurde, dann haben sie ihr neues Buch signiert bzw. anstelle der Unterschriften mit Stempeln versehen. Und ein vermeintlicher Höhepunkt: eine öffentliche Diskussion darüber, warum sie denn nun wirklich die eine Million Pfund verbrannt haben. Wie vor 23 Jahren versprochen, erschienen The KLF bei dieser Diskussion, um Fragen zu beantworten. Ihre Antwort auf das WARUM lautete aber wohl nur: Whatever.

Von der alten Anarchie ist offenbar nicht so viel übriggeblieben. Vielleicht haben wir diese Anarchie damals aber auch überschätzt. Mir scheint das mehr der Spaß am Absurden zu sein, der bei den beiden immer wieder durchkommt. Sich Dinge auszudenken, die niemand macht, die keinen Sinn ergeben. Früher kam allerdings noch die massive Präsenz dazu: The KLF waren damals, als die Charts auch noch viel mehr bedeuteten als heute, mit mehreren Songs ganz oben vertreten. Die Musikpresse gierte nach neuen Geschichten, die KLF zu bieten hatten – und die lieferten. Es gab zum Beispiel am Anfang einen großen Streit mit Abba, weil The KLF unerlaubt vom Abba-Song Dancing Queen gesampelt hatten. Alle rieten The KLF: holt euch einen Anwalt, versucht das ohne Prozess zu regeln, die werden euch in den Ruin treiben. Und was machten Drummond und Cauty? Stiegen in den alten Polizeiwagen von Cauty, einen schwarz-weißen Ford Galaxy, nahmen einen Reporter vom New Musical Express mit – und fuhren dann nach Schweden - um Abba persönlich mit der Geschichte zu behelligen. Der Reporter machte auch brav Fotos – in Schweden stellte sich dann aber raus: The KLF hatten noch nicht einmal eine Adresse – man klingelte mitten in der Nacht bei irgendeiner Büroadresse und fuhr dann wieder zurück. Also: die Aufmerksamkeit damals hat das Anarchische verstärkt. Jetzt, wo sich die Aufmerksamkeit in Grenzen hält, fehlt die Wirkung.
Bei dieser dreitägigen Aktionwurde jetzt in Liverpool wurde außerdem ein Buch präsentiert, das bislang nur auf Englisch erschienen ist: 2023 - A Trilogy by The Justified Ancienst of Mu Mu. Ich arbeite mich da seit Tagen durch, das macht viel Spaß, es zu lesen, aber es ist letztendlich eine Geschichte, die in drei verschiedenen Zeiten spielt – in den 90ern, heute, im Jahr 2023. Eine vielschichtige, selbstreferentielle Story, die mit zwei Bestattern namens Drummond und Cauty anfängt, die ein lebensveränderndes Buch finden, das von George Orwell alias Roberta Antonia Wilson geschrieben und aus dem Ukrainischen ins Englische übersetzt wurde. Ein bisschen wie „Per Anhalter durch die Galaxis“ trifft auf Gary Steingart, der Teil, der 2023 spielt, hat viel mit den fünf großen Firmen zu tun, die Welt beherrschen: Firmen wie FaceLife, GoogleByte, Wikitube. Länder existieren nicht mehr, das gehört alles den Big Five. Michelle Obama, Julian Assange, Putin, Simon Cowell, Yoko Ono, die Beatles – all diese Namen tauchen da auf. Es geht um alles und nichts – letztendlich wieder um den Spaß am Absurden.

Das war ja auch immer das Spannende an The KLF: Was kommt als nächstes? Ein Buch, noch dazu eines, das zwar schön absurd, aber in dieser Absurdität auch nicht ohne Vorbilder daher kommt, damit hat wohl niemand gerechnet. Und die Aktionen in Liverpool erinnern sehr an das, was Bill Drummond in den letzten Jahren gemacht hat - an sein Projekt „The 17“ – da ist er erst durch Großbritannien und dann durch die Welt gereist, um spontane Chöre zusammenzustellen, die nach seiner Anweisung zu singen hatten – manchmal standen die hunderte Meter voneinander entfernt. Aufgenommen wurde das nicht, das war Perfomance. Überhaupt: es drängt sich auf, dass Drummond die treibende Kraft hinter dem Buch und hinter dem, nun ja, „Comeback“ ist. Er war immer der Agilere, Kunstperfomancebesessene – und der Schreiber. Cauty ist eher ruhig. Hat allerdings auch schon mit Banksy zusammengearbeitet. Es waren die Ideen und der Mut, die dann auch durchzuziehen, obwohl klar war: das kann total nach hinten losgehen, was The KLF so groß gemacht hat. Ein paar Geschichten haben wir ja schon genannt, dann gab es noch andere: The KLF bekomen 1982 den wichtigsten Musikpreis, den Brit Award – und spielen ihren Hit 3 AM Eternal mit einer Hardcore-Metal-Noise-Band vor Publikum – und zum Schluss holen sie auch noch täuschen echt aussehende Maschinenpistolen raus und schießen damit ins Publikum, also in die versammelte Musikbusiness-Bagage hinein. Und noch einmal das mit der eine Million Pfund. Warum sie die verbrannt haben? Wahrscheinlich in gnadenloser Selbstüberschätzung – aber die 23 Jahre selbstverordnetes Schweigen darüber machen die Sache dann legendär. Dieses Schweigen haben sie übrigens nicht ganz durchgehalten. 1995 sagte Drummond der BBC: “I don’t know what it is that we did … but I never felt it was wrong!” - “Ich weiß nicht, was wir da gemacht haben, aber falsch fühlte es sich nicht an.” Könige der Aufmerksamkeitserzeugung, die damals schon so agierten, als wäre das Netz, als wären die sozialen Netzwerke schon da. Aber an die war nicht zu denken.