Vegard Vinge und Ida Müller sind gut gelaunt am Nationaltheater Reinickendorf

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Neulich erzählte ich meiner Mutter von Vegard Vinge und seinen Ibsen-Inszenierungen. Sie sagte zu mir: "Ich wusste gar nicht, dass Du Dich für Theater interessierst!" Ich so: "Tu ich auch nicht, ich interessiere mich nur für Vegard Vinge und Ida Müller und ihr Extremtheater. Weshalb die beiden hier ständig beim Technoarm auftauchen. Na ja, was heißt ständig, sie haben ja mehrere Jahre nichts von sich hören lassen, da war es hier auch sehr ruhig um die beiden. Aber davor und jetzt auch wieder ist das wohl so. Es sind ja auch nur noch ein paar Vorstellungen bis Ende Juli, dann ist erst einmal wieder Schluss mit dem Vinge/Müller-Spektakel, was natürlich extrem schade ist. Hier nun ein kleiner Zwischenstand: vor einer Woche gab es die offizielle Premiere (offizielle Premiere? Was heißt das denn? Na das hier!), ich war auch wieder dabei, habe aber nur sieben Stunden durchgehalten. Immerhin konnte ich feststellen, dass viele, viele Kollegen ebenfalls dort waren, von der schreibenden und von der sendenden Presse. Im Radio habe ich dann auch gleich einigen Unsinn vernehmen müssen, nicht gut, wenn Kollegen die Berichterstattung übernehmen, die nicht so die Ahnung haben. Dafür sind von den Schreiberlingen wieder viele Auskenner dabei. Vor allem die Berliner Zeitung scheint die gute alte Tradition wieder aufzunehmen, möglichst jede Regung von Vinge/Müller einzufangen. Das gefällt mir. Ansonsten fand ich sehr lesbar die Artikel in der Welt, im Berliner Tagesspiegel, bei Nachtkritik und hier. Und natürlich meine eigenen (Scherz). Was ich seltsam finde: Nazis, Nazi-Ästhetik, die Nazi-Vergangenheit Deutschlands spielt im Werk von Vinge oft eine Rolle. Aber darüber hat noch niemand so richtig geschrieben. Ich allerdings auch nicht, aber im Video wird es deutlich.

vegard from Martin Boettcher on Vimeo.


Was noch? Ich bleibe auch nach der offiziellen Premiere dabei: Niemand kann Vinge/Müller das Wasser reichen. Frage mich aber außerdem die ganze Zeit, wer wohl der andere Schauspieler ist, der sehr frei spricht und agiert. Er scheint eine Art Vertrauter von Vegard Vinge zu sein und macht das sehr gut. Es ging, natürlich, mal wieder um alles. Gegessen wurde, ausgeschieden wurde, es gab Sex und Onanie, Gesang, Film … und die hinteren Bühnengemächer wurden geöffnet! Das verschollene U-Boot aus dem Prater, das ich nur von Videos kannte, war zu sehen. Eine Figur, die Vinge in einer sehr bekannten Pose (auf dem Rücken liegend, sich selbst in den Mund pinkelnd) zeigt, wurde präsentiert. Außerdem die große Panini-Bildsammlung, eine Art Geisterbahn, gemalte Bildchen von Nazigrößen. Ich weiß, das liest sich sehr kryptisch. Aber wer Fan ist, weiß, wovon ich schreibe. Wer noch kein Fan ist, kann sich hier beim Technoarm alle Vinge-Artikel durchlesen und die Videos ansehen, dann ist er/sie schlauer. Gute Nacht.

Vegard Vinge: Seltsame Mauscheleien mit dem Nationaltheater Reinickendorf

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Man muss ja nicht gleich von "Skandal" sprechen, aber eine Gemeinheit ist es schon, wie sie an diesem Wochenende mit Vegard Vinge umgegangen sind! Vegard Vinge, das ist der Theatermacher, der gemeinsam mit seiner Bühnenbildnerin Ida Müller mit seinen Ibsen-Inszenierungen, mit seinem Extremtheater für Aufsehen, Irritation, Begeisterung, Ablehnung und Schlagzeilen gesorgt hat. Vegard Vinge und Ida Müller sind radikale Theatermacher. Ihre mühevoll aus Pappe und Farbe gestalteten Bühnenbilder und die Masken ihrer Schauspieler verbreiten eine seltsam morbide, entfremdete Stimmung. Vinge/Müller-Stücke sind heftig, Gewalt spielt eine große Rolle, Kunstblut wird großzügig ausgeschüttet, wer auf lineare Handlung angewiesen ist, könnte verzweifeln. Und es kommt gar nicht mal so selten vor, dass ihre Inszenierungen acht oder zehn oder auch zwölf Stunden dauern. 2012 schafften es Vinge und Müller mit ihrer Inszenierung von Ibsens John Gabriel Borkmann zum Berliner Theatertreffen.

Vier Jahre lang hatte Vegard Vinge nichts von sich hören lassen, vier lange Jahre, in denen immer mal wieder jemand sehnsüchtig fragte, wann denn endlich Neues vom radikalen Norweger zu sehen sein würde. Nun, jetzt, am Samstag, dem 1. Juli 2017, war es so weit: Vinge/Müller eröffneten unter den Fittichen des Haus der Berliner Festspiele ihr "Nationaltheater Reinickendorf". "Extremtheater"! "Theatertreffen-Teilnehmer"! "Ausnahme-Schauspiel"! Bei solchen Schlagworten, könnte man meinen, würden die Feuilletons, die einschlägigen Theaterkritiker Schlange stehen, um über die erste Vorstellung zu berichten. Jetzt haben wir Montag, den 3. Juli, und was soll ich sagen? Es ist so gut wie kein Wort über das Nationaltheater und diese erste Vorstellung gefallen. Nur bei Nachtkritik haben sie sich dazu durchgerungen, die ganze Veranstaltung nicht komplett zu ignorieren wie die anderen - dort hat man sich an einem Kompromiss versucht. Ansonsten: nur Zurückhaltung. Aber warum? Dazu ein paar Überlegungen, die meiner Ansicht nach den Theaterjournalismus in keinem guten Licht stehen lassen. Read and rave on nach dem Klick ...